Stumpfkrokodil, Schopfmakake und Antilope: 2.000 Tiere in 203 Arten sind im Zoo Vivarium in Darmstadt zu Hause. Sie leben dort wie auch in anderen Zoos vornehmlich, damit wir Menschen sie bestaunen können. Umstritten bleibt jedoch, ob die Tiere dort artgerecht und nachhaltig gehalten werden. Wir haben mit Zoopädagoge Frank Velte darüber gesprochen, wie nachhaltig und artgerecht ein zoologischer Garten sein kann.
Vivarium-Historie im Zeichen der Nachhaltigkeit
Das Vivarium, Darmstadts einziger Zoo, wurde 1965 am Schnampelweg eröffnet. Die ersten Gebäude damals waren ein Aquarien- und Terrarienhaus sowie ein Kleinsäugerhaus. Zur Eröffnung war die Zielsetzung klar: Bildung, Freizeit, Erholung – für die menschlichen Besucher:innen, versteht sich. In den darauffolgenden Jahren entstanden viele weitere Häuser für Tiere, darunter im Jahr 1969 eine Quarantänestation. Eine passende Abteilung ermöglichte 1972 den Einzug von Giftschlangen und -echsen im Aquarien- und Terrarienhaus. Zum zehnjährigen Bestehen des Vivariums öffnete 1975 das Afrikahaus, heute als Tropenhaus bekannt, seine Türen. Ein erstes Zeichen für Nachhaltigkeit und den Artenschutz setzte das Vivarium 1982: Im Zoo gezüchtete Uhus wurden erstmals an die “Aktion zur Wiedereinbürgerung des Uhus” abgegeben. 1991 eröffnete dann die Zooschule “Dr. Heinz Ackermann-Haus für Tierschutz und Umwelt-Pädagogik”.
In den darauffolgenden Jahren wurden viele Häuser abgerissen und neu aufgebaut, darunter auch das Zebrahaus. Sein 50-jähriges Jubiläum feierte das Vivarium 2010, bevor die Leitung an den Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienstleistungen (EAD) der Stadt Darmstadt überging. Mit der Inbetriebnahme des Blockheizkraftwerks neben der Heizzentrale der Aquarienhalle setzt der Zoo seit 2012 auf eine klimaschonendere und sichere Erzeugung von Wärme und Strom. Die neue Afrikaanlage als größtes Bauprojekt in der Geschichte des Vivariums öffnete 2019.
“Nachhaltige Tierhaltung” in Zoos bleibt umstritten
Das Darmstädter Vivarium gehört zum Verband Zoologischer Gärten (VdZ). Dieser umfasst zurzeit 71 Zoos, 56 davon in Deutschland. Weitere Mitglieder des Verbands gibt es in Österreich, der Schweiz und in Spanien. Heutzutage sind nach Angaben des Verbandes weltweit 13.200 Tierarten bedroht. Forscher:innen schätzen, dass auf unserer Erde mehr als zehn Millionen Arten existieren und jede fünfte davon bedroht ist. Zoos sind und bleiben aus verschiedenen Gründen umstritten, sie erhalten jedoch mit ihrem Fachwissen und Tierbeständen Arten, die in der Natur bereits ausgerottet sind. Ein Beispiel hierfür ist der Wisent: Ausgerottet wurde der europäische Bison in den 1920er Jahren. Damals bildeten mehrere Zoos die Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents. Sie hielten die Tiere in den Zoos – und heute leben Wisents auch wieder in der freien Natur.
“Artenschutz im Zoo macht also Sinn”, findet Dr. Frank Velte, Zoopädagoge und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Vivarium. Die Zoos des Verbands Zoologischer Gärten bringen nach eigenen Angaben jährlich etwa vier Millionen Euro für Natur- und Artenschutzprojekte auf. Durchschnittlich sind 178 Tierarten in einem Zoo des VdZ, davon ist fast jede Fünfte in freier Wildbahn bedroht. Für die Arbeit von Zoos spricht auch, dass sie sich neben “Kassenschlagern” wie Löwen oder Elefanten auch kleinen und unscheinbaren Tieren widmen.
Gegen zoologische Gärten sprechen für ihre Gegner:innen das natürliche Verhalten und der Körperbau von Tieren, die für ein Leben in Freiheit ausgelegt sind. In der Gefangenschaft in Zoos verkümmern sie und die Entwicklung von Stereotypien, also immer gleichen Bewegungsabläufen, wird begünstigt – denken wir nur an Rilkes Panther. So sind besonders oft Bären und Großkatzen daran gewöhnt, pausenlos hin- und her zu laufen. Oftmals fühlen sich Tiere von großen Besuchermassen gestört und neigen dazu, aggressiv zu werden. Manche töten dann sogar ihre Artgenossen, verletzen sich selbst oder haben andere Verhaltensstörungen.
Was ist artgerechte Tierhaltung?
“Nirgendwo ist definiert, was artgerecht ist”, sagt Zoopädagoge Velte. Heutzutage gebe es jedoch viele positive Beispiele an Zoos mit artgerechter Haltung. Das Vivarium setze auf große Gehege, in denen die Tiere verhältnimäßig viel Platz haben: “Ein Zebra muss auch mal richtig Gas geben können”, betont der Tierliebhaber. Die Gehege seien an ihre Bedürfnisse angepasst. Wichtig sei, dass die Tiere in den richtigen sozialen Verhältnissen leben, ob als Einzelgänger oder in Gruppen. Zoos versuchen, auf immer wieder neue Arten ihre Schützlinge zu beschäftigen. Das Vivarium beschäftige beispielsweise die Schopfmakaken mit ihrem Futter, erzählt Velte. Der Darmstädter Zoo nehme Rücksicht auf das kurze Darmsystem der Kurzkrallenotter und füttere sie deshalb viermal am Tag.
Foto: Wolfgang Daum Foto: Zoo Vivarium Darmstadt Foto: Wolfgang Daum
Zoogegner:innen werden diese Maßnahmen nicht reichen, um von “artgerechter Haltung” zu sprechen. Sie kritisieren auch die Zucht von Tieren in Zoos. Diese sei mit der Fortpflanzung von Tieren in freier Wildbahn nicht zu vergleichen. Bei solchen in Gefangenschaft gezüchteten Tieren treten als Folge von zu wenig genetischer Vielfalt durch Inzucht oft Anomalien und Erbkrankheiten auf. Zudem bemängeln Tierschützer:innen die Schwierigkeiten bei der Wiederauswilderung: Die Zootiere seien kaum überlebensfähig und hätten kein Durchsetzungsvermögen, da sie das schlichtweg nicht gelernt haben.
Ein weiterer Kritikpunkt ist das falsche Bild der Natur, was Zoos vermitteln: Die Gefangenschaft der Tiere werde als völlig unproblematisch dargestellt, wie auch wir in unseren Recherchen feststellen konnten. Deshalb kritisieren Tierschützer:innen, dass Zootiere keine richtigen Vertreter für freie Tiere sind. Die Tiere verbringen ein Leben lang in ihren Gehegen, während die Zoobesucher:innen bloß mehrere Stunden dort verbringen. Und egal wie “groß” die Gehege nach Ansicht der Betreibenden seien – mit dem Leben in Freiheit können sie nach Ansicht der Zookritiker:innen nicht mithalten.
Tiere leben in Revieren
Doch auch die Tiere in der Natur seien nicht vollends frei, argumentiert Velte. Sie leben in Revieren, die verteidigt werden müssen: “Nicht mal der Weiße Hai kann hinschwimmen, wo er will”, so der Zoopädagoge. Tiere lebten nach einem Ökonomieprinzip, ihre Arbeit bestehe nur darin, sich fortzupflanzen und sich zu ernähren, erklärt der Experte weiter. Sie leben in einem begrenzten Raum, den sie im Idealfall nicht mehr verlassen. Deshalb findet er, dass Zootiere in Gehegen durchaus repräsentativ für freie Tiere sind.
Moderne Zoos achteten bei ihren Züchtungen auf den Stammbaum der Tiere, um Inzucht zu vermeiden. Selbst die wirtschaftlicht orientiertesten Zoobetreiber:innen möchten gesunde Tiere züchten, denn kranke sind unbeliebt bei Besucher:innen. Zoologische Gärten können dabei auf ein globales Netzwerk zum Austausch der Tiere zurückgreifen. Viele Zoos nehmen auch an internationalen Naturschutz- und Auswilderungsprogrammen teil und unterstützen Wildhüter:innen in ihren Heimatländern.. Die Nachzucht der Tiere kann nämlich nur dann sinnvoll sein, wenn es natürliche Lebensräume in den Heimatländern der Tiere gibt. Große Naturschutzorganisationen wie der World Wildlife Fund (WWF) arbeiten deshalb mit den Zoos zusammen.
Schopfmakake und Stumpfkrokodil
Für das Vivarium besonders wichtig sind die Schopfmakaken, denn nur wenige Zoos in ganz Europa halten die Affenart. Sie kommt ursprünglich von der indonesischen Insel Sulawesi. Im Zoo Vivarium lebt zudem das zweitälteste Stumpfkrokodil der Welt. Es kam als Wildfang schon vor 50 Jahren in den Darmstädter Zoo.
Foto: Christoph Rau, Darmstadt Foto: Fotostudio Farbrausch, Steffi Schübeler Foto: Wolfgang Daum
Zoos sind ein Teil unserer Kultur und dienen der Erholung, Bildung, Forschung und dem Naturschutz. Sie erklären die Tierwelt und die Probleme des Arten- und Naturschutzes. Moderne zoologische Gärten sind stets auf möglichst artgerechte Haltung fokussiert und verbessern sich dabei immer weiter. Aber um von echter Nachhaltigkeit und artgerechter Tielhaltung zu sprechen, ist sicher noch einiges zu tun. Wie seht ihr das? Geht ihr in Zoos, oder meidet ihr diese komplett?
Wenn ihr noch mehr zu nachhaltiger Arbeit mit Tieren in und um Darmstadt erfahren wollt, dann schaut doch mal hier oder dort vorbei.